Gemeindeversammlung zur Kaiser-Wilhelm-Kirche: Die Gemeinde allein kann den Erhalt nicht stemmen
Der Jubel war groß, als Bad Ems unter den „Great Spas of Europe“ zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt wurde. Doch jetzt droht Unheil: Die Kaiser-Wilhelm-Kirche, die zum weltweit anerkannten Ensemble zählt – zurzeit noch im Besitz der evangelischen Kirchengemeinde Ems – bereitet Probleme. Eine Gemeindeversammlung im Gemeindesaal der evangelischen Kirchengemeinde Bad Ems machte deutlich: Die Schäden an dem geschichtsträchtigen Gotteshaus, das 2017 geschlossen wurde und 2019 einen recht stillen 120. Geburtstag feierte, sind immens.
Einzigartiges Beispiel für wilhelminisches Bauen
Was der von der evangelischen Landeskirche beauftragte zuständige Architekt Jürgen Hamm an diesem Abend vorträgt, ist ernüchternd. Sein Büro, das unter anderem die Restaurierung des Wormser Doms seit zehn Jahren begleitet, hat 2019 nach einer Ausschreibung die Betreuung der Voruntersuchungen für eine Sanierung übernommen. Hamm unterstreicht, dass die Kaiser-Wilhelm-Kirche mit seiner komplexen Geometrie, der Verschachtelung und seinem „unglaublichen Innenraum“ ein einzigartiges Beispiel für wilhelminisches Bauen sei, „ein vollständiges Zeitdokument“. Die anfangs ohnehin noch positive Stimmung zur Sanierung im Kirchenvorstand wich allerdings mit jeder neuen Hiobsbotschaft und der Summe der Schäden, die die Untersuchungen zu Tage förderten.
Untergrund bereitet Sorgen
Neben der Erneuerung von Dach, Fassade und Glas sowie einem fehlenden, die Statik beeinträchtigenden Tragring bereitet vor allem der Untergrund Sorgen. „Hier besteht dringender Handlungsbedarf“, stellen Hamm und Architektenkollege Lucas Kraft unisono fest. Die Kirche neigt sich um acht Zentimeter zur Lahn hin. Ein Bodengutachten zeigte, dass es Wasseransammlungen im Untergrund sind, die dem Boden seine Struktur nimmt. Ursache dafür scheinen unterschiedlich hohe Fundamente zu sein, wie Hamm mit einem Schaubild verdeutlicht. Der Architekt stellt ein aufwändiges Verfahren vor, um mit der Injektion von Expansionsharzen wieder für einen festen Untergrund zu sorgen.„Das ist richtig Geld, das man dafür in die Hand nehmen muss“, so der Architekt. Und noch mehr Wasser belastet das als Badekirche mit viel Blau im Innern errichtete Gebäude. An der Seite besonders gut wachsendes Gras machte sichtbar, dass mit der Entwässerung rund um die Kirche etwas nicht stimmt. Eine Kanalbefahrung mit Kamera brachte Gewissheit: Das gesamte System mit seinen aus den Jahren 1911 bis 1965 stammenden Rohren zerfällt.
Zahlen, was eine Sanierung kosten könnte, nennen weder er noch der regionale Baubeauftragte der EKHN, Matthias Klöckner, der seit diesem Jahr auch das Nassauer Land betreut. Das Konglomerat an Schäden lässt das auch kaum zu. Ob ein- oder zweistellige Millionenbeträge – keiner will sich da festlegen. In einer Broschüre zum diesjährigen Tag des offenen Denkmals der Generaldirektion Kulturelles Erbe (GDKE) wird die Kirche als „Instandsetzungsfall erster Güte“ beschrieben, deren Instandsetzung „hohe Millionensummen erfordern“.
Hamms Vortrag zeigt: „Bei jeder Untersuchungs-Maßnahme hat sich eine neue Baustelle aufgetan“. Jetzt bedürfe es eines Erhaltungskonzeptes, um es mit einem Preisschild zu versehen, so der Architekt. Auch wenn Gemeindepfarrerin Lieve Van den Ameele für die bisherige Unterstützung der Landeskirche dankt, als Seelsorgerin stellt sie fest, dass die Thematik die bisherigen Mitglieder des Kirchenvorstands sehr belastet, müde und mürbe gemacht hat, denn noch stehe die Gemeinde als Eigentümerin in der Pflicht. „Wir waren so weit, dass wir die Kirche für einen Euro verkaufen würden, wenn sich jemand dafür findet“, beschreibt sie die Stimmung und hofft, dass der neu gewählte Kirchenvorstand nicht ein ähnliches Schicksal erleidet, auch wenn weiterhin Geduld gefragt sei. „Wir stehen vier Jahre nach der Schließung noch immer am Anfang eines langen und steinigen Weges.“ Eine belastbare Grundlage für eine Einschätzung, mit welchen Kosten zu rechnen ist, sei allerdings hilfreich, um auf potentielle Kooperationspartner zugehen zu können.
Erhalt ist eine gesellschaftliche Aufgabe
Und die wird es brauchen, wie die anschließende Diskussion unter der Moderation von Esther Braun-Kinnen zeigt. Als eine gesellschaftliche Aufgabe bezeichnet nicht nur der Architekt den Erhalt der Kirche, für die es viele Partner brauche. Außer Frage steht für anwesende Fachleute und Besucher, dass die Sanierung für die Kirchengemeinde nicht zu stemmen ist. Und das nicht nur aus finanziellen Gründen. „Nach dem, was ich heute gehört habe, kann das auch zeitlich von einem ehrenamtlichen Gremium überhaupt nicht geleistet werden“, sagt Anja Beeres, Vorsitzende der Synode des evangelischen Dekanats Nassauer Land, an das sich die Gemeinde zuletzt Hilfe suchend gewandt hatte. Es brauche zudem einer hauptamtlichen Kraft, die die unterschiedlichen „Player“ zusammenbringe.
Kirche, Stadt, Kreis, Land, Touristik und UNESCO sowie andere Institutionen, die ein Interesse am Erhalt des Gebäudes haben, werden da genannt, um sich an einen Tisch zu setzen. Architekt Hamm lenkt den Blick auch nach Berlin, denn er sieht aus Erfahrungen mit anderen Sanierungen in Deutschland wenig Hoffnung, dass die Kirche, aber auch das Land künftig genügend entsprechende finanzielle Ressourcen hätten; über den Bund böten sich höhere Fördermöglichkeiten an, die von 50 bis zu 90 Prozent reichen würden. Insofern sei der Kontakt zu Bundestagsabgeordneten wie Josef Oster (CDU), der mehrmals erwähnt wird, sinnvoll.
Tunnelbau kann kaum Ursache sein
Wenig Sinn sieht Hamm dagegen darin, den Tunnelbau der Bundesstraße 260 von 2000 bis 2006 für die Schäden verantwortlich machen zu können. „Das wurde untersucht.“ Es gebe Unterlagen, in denen die Risse bereits vor dem Bau dokumentiert wurden; dies weiter zu verfolgen, koste sehr viel Energie und auch Zeit, die sinnvoller verwendet werden könne.
Standfestigkeit hat Priorität
Als Zeitachse nennt Hamm sieben bis zehn Jahre, „dann wären wir einmal rund“. Zeit, die auch genutzt werden könne, ein Nutzungskonzept für das als Denkmal geschützte Gebäude auszuarbeiten, wenngleich für die Standfestigkeit des Gebäudes dringender Handlungsbedarf bestehe. Anja Beeres: „Ich sehe hier zwei Schritte: Der erste ist die Erhaltung des Kulturdenkmals, dass das Stadtbild prägt und Teil des Welterbes ist“; der zweite Schritt – die Aufstellung eines Nutzungskonzeptes – dürfe damit nicht vermischt werden.
Am Ende des zweistündigen Abends hat Moderatorin Braun-Kinnen auf einem Flipchart zwei Schritte notiert, die den Anwesenden am dringlichsten erscheinen: Die Sicherung des Untergrundes sowie die Suche nach Partnern, die sich für den Erhalt des Gebäudes engagieren. Parallel dazu solle an einem Nutzungskonzept weitergearbeitet werden, für das die Kirchengemeinde ein Exposé erstellt hat. Zudem brauche es hauptamtlicher Unterstützung für das Projekt.
Heilung an Leib und Seele
Ein Exposé zur künftigen Nutzung des Gebäudes nach einer Sanierung, mit dem die Kirchengemeinde 2019 Bedeutung und Sinn unterstreicht, die Kirche zu erhalten, nennt als vier Standbeine Gottesdienst, Kultur, Soziales und Bildung. Das Thema „Heilung für Leib und Seele“ könne dabei gerade in der Kurstadt eine wichtige Rolle spielen. Die Ausarbeitung rief auch im Plenum Interesse hervor.
Dass es sich bei der Kirche architektonisch gerade auch mit seinem prachtvollen Innenraum sowie seiner Historie um ein herausragendes und einzigartiges Bauwerk handelt, steht an dem Abend nicht zur Debatte und wird mehrfach betont. Vor seiner Schließung war der Prachtbau vor allem als Ort für Trauungen und Taufen beliebt und dank seiner tollen Akustik für Konzerte und Kulturveranstaltungen.
Flächenbedarf gedeckt
Nach den aktuellen Richtlinien der Landeskirche für die Flächenbemessung sei der Raumbedarf der evangelischen Kirchengemeinde Bad Ems auch ohne die Kaiser-Wilhelm-Kirche und das daneben stehende Gemeindegebäude gedeckt, erklärte Gemeindepfarrerin Lieve Van den Ameele zu Beginn der Gemeindeversammlung. Die evangelische Martinskirche, die Kirche in Kemmenau sowie das Gemeindehaus böten ausreichend Gottesdienst- und Versammlungsflächen, „so wünschenswert die Bewahrung des Gebäudes auch ist“. Außerdem unterhält die Gemeinde noch das ebenfalls sanierungsbedürftige Gebäude, in dem sich die Kindertagesstätte Arche Noah befindet.
Repräsentative Badekirche
Die ersten Überlegungen, eine repräsentative zweite Kirche in Bad Ems zu bauen, gab es um 1870, als die Stadt Weltruf genoss und sich dort gekrönte Oberhäupter, Adel und Künstler aus ganz Europa und der Welt zum Kuren trafen. Auch Kaiser Wilhelm I. befürwortete den Bau einer protestantischen Badekirche, die den langen Weg zur mittelalterlichen kargen Dorfkirche in Ems ersparte. Die Kirchengemeinde verfügte allerdings nicht über Mittel, sich an den rund 140.000 Mark Baukosten nennenswert zu beteiligen. Dank des rührigen Kurgastes und evangelischen Theologen Friedrich von Bodelschwingh aus Bethel gelang die Finanzierung; Kaiser Wilhelm II. gewährte allein ein „Gnadengeschenk“ von 50.000 Mark.
Bernd-Christoph Matern Rhein-Lahn-Zeitung am 20.10.2021
Die Kaiser-Wilhelm-Kirche: Prachtbau und Problemfall
Über 20 Jahre gingen ins Land, bevor die Planungen zur Kaiser-Wilhelm-Kirche in Bad Ems in die Tat umgesetzt werden konnten. Schon 1870 gab es unter der protestantischen Bevölkerung und Kurgästen die Idee, zu Ehren Kaiser Wilhelms I., der häufig in der Kurstadt an der Lahn weilte, einen repräsentativen Kirchenbau zu errichten, denn die im historischen Ortskern gelegene, mittelalterliche evangelische Martinskirche genügte den Ansprüchen der vermögenden und adligen Kurgesellschaft nicht.
Die Idee zum Bau einer repräsentativen Kirche war das eine, die Ausführung das andere. Denn die Kirchengemeinde verfügte nicht über die notwendigen Mittel und war auf Spenden angewiesen. Erst durch die Initiative von Friedrich Christian Carl von Bodelschwingh, der sich ebenfalls öfter in Bad Ems zur Kur aufhielt, nahm das Bauvorhaben ab 1893 an Fahrt auf. Auf dessen Vermittlung konnte Karl Siebold, der für die Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel bei Bielefeld tätig war und hauptsächlich in Westfalen wirkte, als Architekt der Kaiser-Wilhelm-Kirche gewonnen werden. Erst 1897 war die Finanzierung der Baukosten von über 140.000 Mark durch ein „Gnadengeschenk“ von 50.000 Mark des nun regierenden Kaisers Wilhelm ll. gesichert, bei dem von Bodelschwingh heftig für den Kirchenbau geworben hatte. Der Kaiser höchstpersönlich hatte die Planunterlagen als „sehr geschmackvoll und stylgerecht“ unterzeichnet. Nach über 20 Jahren Planung ging der Bau dann schließlich umso schneller vonstatten. Grundsteinlegung war im Juni 1898, bereits im August des Folgejahres konnte die Kirche eingeweiht werden.
Prächtig und erhaben am Hang gelegen, beherrscht die Kaiser-Wilhelm-Kirche die Blickachse über die Lahn in Bad Ems. Standort und Baugestalt sind als Statement zu verstehen, sollte die Kirche doch des Kaisers würdig sein.
Die kaiserliche Bestimmung ist der Kirche nicht nur in ihrer für die Kurstadt Bad Ems erheblichen Größe und den reichen, neoromanischen Schmuckformen anzusehen, sondern jedes kleinste Detail im Inneren und Äußeren verbildlicht den hohen Anspruch, der mit dem Gotteshaus verbunden war. Nicht protestantisch nüchtern, sondern überbordend reich wurde der Innenraum ausgestaltet und vermittelt mit seiner an ein griechisches Kreuz angenäherten Grundform fast den Eindruck eines begehbaren Reliquienschreines, da keine einzige Fläche im Inneren ohne Verzierungen und Ausschmückung geblieben ist.
Nicht nur die besondere Entstehungsgeschichte, sondern auch die heute noch komplett vorhandene bauzeitliche Ausstattung machen die Kirche zu einem denkmalpflegerisch herausragenden Objekt. Kirchenbänke, Orgel und Kanzel bilden zusammen mit den üppigen Wand- und Deckenmalereien sowie den großen Buntglasfenstern ein Gesamtkunstwerk, das Kirchenbesucher nach wie vor in seinen Bann zieht.
So beeindruckend der Bau mit seiner vollständig erhaltenen Ausstattung ist, so groß sind die Probleme, mit der die Kirche und die Kirchengemeinde heute zu kämpfen haben. Bei der Errichtung der Kirche wurde vor allem auf das Erscheinungsbild Wert gelegt, Zweckmäßigkeit und gute Bedienbarkeit für Wartung und Bauunterhalt waren Nebensache. So sind die Dachräume so gut wie nicht zugänglich, die Wasserableitung der ineinander verschnittenen Dächer war durch innenliegende Fallrohre von Anfang an mangelhaft. Und auch der der Fassade vorgeblendete Tuffstein konnte aufgrund der geringen Festigkeit zwar reich ornamentiert werden, befindet sich heute aber aufgrund seiner ungeeigneten Materialeigenschaften und der mangelhaften Befestigung am Mauerwerk in Auflösung.
Doch nicht nur die den Planungen innewohnenden Schwächen machen die Kaiser-Wilhelm-Kirche zu einem Instandsetzungsfall erster Güte, sondern auch der Untergrund entzieht ihr seit einigen Jahren sprichwörtlich die Fundamente.
Die im Hinblick auf die dringend notwendige Instandsetzung durchgeführten Bodenuntersuchungen und Untergrundbohrungen haben ergeben, dass die Erd- und Gesteinsschichten, auf denen die Kirche errichtet wurde, nicht tragfähig sind. Klaffende Risse, die das Mauerwerk komplett durchziehen, sind Spiegel dieser dramatischen Situation. Der Bau ist deshalb seit mehreren Jahren für die Gläubigen gesperrt. Wären nicht schon die gravierenden Schadensbilder Problem genug, so kommt hinzu, dass die Kaiser-Wilhelm-Kirche heute ohne Nutzung dasteht. Als Pfarrkirche dient St. Martin in der Altstadt.
Die Instandsetzungskosten werden hohe Millionensummen erfordern, und das bei schwindenden kirchlichen Finanzmitteln. Erste Voruntersuchungen zu einer Ertüchtigung, die auch von der Direktion Landesdenkmalpflege finanziell unterstützt wurden, konnten in den letzten beiden Jahren durchgeführt werden. Es fehlt aber bislang an einem Nutzungs- und damit auch zielgerichteten lnstandsetzungskonzept. So erscheint das Schicksal eines der prächtigsten historistischen Kirchenbauten in Rheinland-Pfalz und eines Zeugnisses der ehemals international bedeutenden Bäderkultur in Bad Ems momentan ungewiss.
Dr. Katinka Häret-Krug, COKE, Landesdenkmalpflege, Praktische Denkmalpflege
Veröffentlichung des Landes Rheinland-Pfalz zum Tag des offenen Denkmals 2021
Die Glocken der Kaiser-Wilhelm-Kirche
Das Youtube-Video dazu finden Sie hier.
Die alte Dame ist gebrechlich
Eine „Badekirche“ für das Kurbad
Im 19. Jahrhundert war Bad Ems ein florierendes und mondänes Kurbad mit einem exquisiten Publikum. Dorf und Kurbad waren bis 1863 noch getrennt; für die Evangelischen im Bad war Dausenau zuständig. Mit der kommunalen und kirchlichen Vereinigung der beiden Ortsteile wurde die Martinskirche im Westteil des Ortes der Bezugspunkt auch für das Bad, was insbesondere die Kurgäste nicht goutierten, erschien ihnen doch der 20- bis 30-minütige Weg in winterlicher Kälte und sommerlichem Staub wenig „kurgemäß“ und eher als Zumutung. Womöglich hatte das Dorf für die anspruchsvollen Kurgäste auch einfach nicht das erwartete „Niveau“ - aus heutiger Sicht sicher ein Luxusproblem.
Damals jedoch musste eine Lösung her. Ein „Comité für den Bau einer evangelischen Kirche in Bad Ems“ wurde 1870 gegründet, und man begann unter den Kurgästen eine Sammlung für eine evangelische „Badekirche“. Pfarrer Georg Vömel fand bei seinem Amtsantritt 1873 einen Baufonds mit 5.000 Mark vor. Er war - im Gegensatz zum Vorstand der evangelischen Gemeinde - ein glühender Verfechter des Neubaus und setzte die Sammlung fort; aus seiner im Rückblick 1906 geschriebenen Pfarrchronik ergeben sich wesentliche Einsichten.
Wilhelm I. von Preußen, der wohl prominenteste Kurgast der Stadt, befürwortete das Projekt und stellte eine Beihilfe in Aussicht, „wenn er einmal sähe, dass wirklich etwas aus dieser Sache würde“, schreibt Vömel. Auch Kronprinz Friedrich III., der 1887 in Bad Ems zur Kur war, hielt den Kirchenbau für dringend erforderlich und hatte dafür auch einen Platz ausersehen, da nämlich, wo heute das Kurmittelhaus steht.
Ein Jahr später freilich erhielten „mit dem Tode Wilhelms I. und Friedrichs III. im Drei-Kaiser-Jahr 1888 ... alle gehegten Hoffnungen einen spürbaren Dämpfer“, schreibt Dieter Weithoener in seinem 1987 erschienenen Buch „Bad Ems - Stadt mit Gesicht“.
Finanzierung und Bau von den „Kurfremden“
Unerwartete Hilfe kam in Gestalt des Pastors Friedrich von Bodelschwingh aus Bethel bei Bielefeld nach Bad Ems; 1893 war auch er für einige Wochen Kurgast. Er erfuhr von dem Bauvorhaben und war gleich davon eingenommen, zudem war er mit Friedrich III. befreundet gewesen. Genialer Bettler, der er war, ließ er seine vielen Beziehungen spielen und legte sich ins Zeug. Eine Kommission aus Berlin wurde auf sein Betreiben hin nach Bad Ems geschickt und entschied, es bestehe das Bedürfnis nach einer Kirche mit rund 600 Sitzplätzen.
Nun wurde „Kaiser Wilhelm II. angegangen wegen eines Gnadengeschenkes von 50.000 Mark“, wie Vömel berichtet. In den Verhandlungen wurde eindringlich auf die Zusagen seiner Vorgänger Wilhelm I. und Friedrich III hingewiesen, und so fühlte sich Wilhelm II. tatsächlich daran gebunden. Immerhin ein knappes Drittel der späteren Gesamtkosten von 160.000 Mark kam so beisammen.
Um den von Friedrich III. auserwählten Bauplatz, den man sich von der Kommune kostenfrei gewünscht hätte, entbrannte in Bad Ems allerdings ein heftiger Streit, und Vömel sah sich genötigt, einen anderen Baugrund zu suchen. Der fand sich denn auch schön auf einer Anhöhe am heutigen Ort gelegen, war allerdings weniger bequem erreichbar - und kostete 15.000 Mark, die aus der jahrelangen Sammlung gezahlt werden mussten. Für den Bau selbst blieben dann nur 31.500 Mark auf dem Konto. Schwester Eva von Thiele-Winckler, Oberin der westfälischen Diakonissenanstalt Sarepta in Bethel, dessen Leiter Pastor von Bodelschwingh war, steuerte ein Darlehen von 35.000 Mark bei. Die Kirchengemeinde selbst hatte mit geringem Engagement 5.000 Mark gesammelt, der evangelische Sanitätsrat Dr. Vogler weitere 3.000 Mark gegeben. Weitere Gelder kamen durch Aufrufe an die Kurgäste zusammen. Die veranschlagten Baukosten waren somit vorhanden, und die daran geknüpfte behördliche Genehmigung zum Bau konnte erteilt werden.
Weiterhin zögerlich war jedoch der Kirchenvorstand der Gemeinde, der mit dem Bau erst nichts zu tun haben und auch das Geschenk des Kaisers nicht annehmen wollte, wie Vömel berichtet, dann aber auf Vermittlung des Wiesbadener Generalsuperintendenten sich bereit erklärte, die neue Kaiser-Wilhelm-Kirche zu übernehmen, wenn sie schuldenfrei wäre und die Übernahme kostenlos geschähe - und wenn die Pfarrer ihren Dienst an der Kirche ohne zusätzliche Vergütung verrichten würden. Gleichwohl mochte die Gemeinde dem Kaiser nicht die Hand reichen, schreibt Vömel, und es war wieder von Bodelschwingh, der eine Lösung aus dem Hut zauberte: Seine Diakonissenanstalt Sarepta übernahm - nicht ganz konform mit den eigenen Regeln - den Bau; von den Kosten blieben 34.000 Mark ein Darlehen. Naheliegend war es angesichts der Eigentumsverhältnisse, dass der Leiter des Baubüros Sarepta, Regierungsbaumeister Karl Siebold, die Aufgaben des Architekten und später auch der Bauleitung übernahm.
Die Kirche sollte nach Fertigstellung der Nassauischen Landeskirche zugehören und dem königlichen Dekanat und dem königlichen Konsistorium unterstehen, und die Emser Pfarrer hatten dort Dienst zu tun. Die Kirche selbst sollte jedoch vorerst im Eigentum von Sarepta bleiben und ihr eigenes Comité behalten, die Emser Kirchengemeinde würde sie erst nach der Tilgung des Kredits in ihr Eigentum erhalten. So wurde es 1894 entschieden.
Neoromanisches Monument mit Stilmix
Kaiser Wilhelm II. fand 1897 den Bauplan „sehr geschmackvoll und stylgerecht“. Am 21. Juni 1898 konnte die Feier der Grundsteinlegung begangen werden und nur rund 14 Monate später, am 15. August 1899, die Einweihung. Beinahe 30 Jahre waren seit den Vorüberlegungen vergangen. Laut Vömel „entstanden beim Bau keine größeren Schwierigkeiten, freilich mit Ausnahme des Turmes, bei dem man, so tief auch gegraben wurde, auf keinen festen Grund kommen konnte. Zuletzt wurde das nötige Gestein in die Tiefe geworfen und so ein haltbares Fundament gewonnen.“
Der Turm wurde mit drei Glocken ausgestattet, und eine Notorgel wurde aufgestellt, da für eine große Orgel das nötige Geld noch nicht vorhanden war. Erst 1904 konnte Orgelbauer Klaesmeyer aus Kirchheide die aus Spenden finanzierte endgültige Orgel liefern. Die Glocken wurden im Ersten Weltkrieg eingeschmolzen und auch deren Nachfolgerinnen im Zweiten; vier neue Glocken wurden danach angeschafft. Die Orgel wurde 1974 erheblich um- und ausgebaut. Sie hat heute 25 Register. 1971/72 erfolgten umfangreiche Renovierungen im Innern der Kirche, vor allem in der Ausmalung.
Die Kaiser-Wilhelm-Kirche ist ein sehr kompakter Baukörper in der Grundform des Lateinischen Kreuzes, der durch zwei Anbauten in den Ecken der Kreuzarme ergänzt wird. Der Glockenturm liegt folgerichtig in der nordwestlichen Ecke aus Haupt- und Querschiff und bildet im Untergeschoss den hangseitigen Haupteingang. Nach Weithoener hatten die Architekten wegen der Hügellage und der Grundstücksgröße die Variante mit dem seitlichen Turm wählen müssen. Karl Siebold hatte aus dieser Not eine Tugend gemacht und ihn in einem rechten Winkel zwischen Längs- und Querhaus eingepasst. Dadurch entstand Raum für die Fürsten– bzw. Kaiserloge in Südlage und die Sakristei in Nordlage; zudem ließen sich in den Annexen dezent die Aufgänge zu den Seitenemporen unterbringen.
Die äußere Erscheinung der Kirche ist vollständig als steinsichtiges Quadermauerwerk im Stile einer romanischen Kirche konstruiert. Anders als die historischen Vorbilder erhält das Mauerwerk seine Monumentalität jedoch nicht durch massive Steinblöcke in Mauerstärke, sondern durch eine vorgeblendete dünnwandige Natursteinbekleidung vor dem eigentlichen, tragenden Mauerwerk aus Backsteinen; das kam natürlich billiger.
Vor allem im Inneren weist das Gebäude - wie viele um die Jahrhundertwende entstandene Sakralbauten - einen gewissen Stilmix auf. So erinnert der hölzerne Dachstuhl an eine nordische Stabkirche, die Gestaltung der Fensterrosen ist eher gotischen Ursprungs, der Marmor-Altar wiederum spätklassizistisch.
Bemerkenswert in der Ausgestaltung der Kirche als „Badekirche“ ist die offensichtliche Verbindung des heilenden Wassers der Kur mit dem Wasser des Lebens, das von Gott her fließt; entsprechend kommt der Farbe Blau eine große Bedeutung zu.
Dazu passt das Wort Jesu über dem Altarbild: „Wer dieses Wasser trinkt, den wird wieder dürsten. Wer aber Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, der wird ewiglich nicht dürsten.“ An der Chorrückwand links und rechts des Altares ist auf zwei bildgleichen Wandteppichen ein Wort aus Psalm 42 ausgestaltet: „Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu Dir.“ Im Tympanon des Haupteingangs steht: „Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser.“ Das Relief über dem Eingang zeigt Mose, der mit seinem Stab Wasser aus dem Fels schlägt für kleiner dargestellte Durstige. An der Kanzel kann man lesen: „Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker. Taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes.“ Davor steht der Taufstein und akzentuiert ultimativ das Heilung und Heil bringende Wasser.
Insgesamt zeigt sich die Kirche als ein bedeutender Bau des Historismus im neoromanischen Stil, der vor allem im protestantischen Deutschland als „nationaler Baustil“ galt. Der war angesagt, war doch die „Fürsorge“ des preußischen Staates für den evangelischen Kirchenbau groß. Der „höchste Bischof“ sorgte dafür, dass genügend Kirchenräume vorhanden waren, und half mit „Gnadengeschenken“, wenn die Gemeinde einen Bau nicht aus eigenen Mitteln finanzieren konnte. Zugleich sorgte er durch seine Bauverwaltung dafür, dass die Bauten ansehnlich wurden und nicht zuletzt den staatlichen Vorgaben genügten, was auch heißt: Die Ideen von Pfarrern und Presbyterien waren dabei nicht gefragt.
Die Inflation bezahlt das Darlehen
Am 9. November 1922 erhielt der zwischenzeitlich gebildete „Arbeitsausschuß für die Kaiser-Wilhelm-Kirche“ die behördliche Genehmigung zum Erwerb des noch immer der Diakonissenanstalt Sarepta gehörenden Gebäudes. Es waren noch 40.000 Mark abzutragen. Die Überschreibung auf die Kirchengemeinde erfolgte im darauffolgenden Jahr am 12. September 1923, als die Inflation grassierte; dem Küster zum Beispiel stand in diesem Jahr eine Vergütung von 500 Millionen Mark zu. Dennoch akzeptierte der Sohn Friedrichs von Bodelschwingh die im Grunde lächerliche Summe, die im Übrigen in voller Höhe durch freiwillige Spenden von Kurgästen aufgebracht worden war, so dass die Kirchenkasse der evangelischen Gemeinde tatsächlich nicht belastet wurde.
Die Sehenswürdigkeit steht nicht stabil
An einer zentralen Stelle im Kurort bildet die Kaiser-Wilhelm-Kirche unweit des Hauptbahnhofs auf einer Anhöhe oberhalb der Lahn bis heute ein direktes Gegenüber zu Häcker's Grand Hotel, der Spielbank und den diversen Kur- und Gesundheitseinrichtungen. Einst stand sie frei auf dem Berg in einer parkähnlichen Anlage, heute ist sie Teil der Oststadt und zugleich markanter Part eines historischen Ensembles.
Wegen seiner auffälligen Architektur und der interessanten Entstehungsgeschichte gehört das Gebäude fraglos zu den Sehenswürdigkeiten von Bad Ems. Heute ist es in erster Linie ein Kulturdenkmal, denn nach einer Blütezeit des Gemeindelebens in den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts veränderte sich die Bevölkerungsstruktur in der Oststadt nachhaltig, und die Kirche wurde weniger als reguläre Gemeindekirche wahrgenommen, dafür aber stärker als Ort für besondere kirchliche Anlässe wie Konfirmationen genutzt - und nicht zuletzt wegen ihrer guten Akustik als Konzertkirche. Dementsprechend zählten zuletzt Touristen und Gäste der Stadt zu den überwiegenden Besuchern, bis sie im Jahr 2017 wegen mangelnder Bausicherheit für das Publikum geschlossen werden musste. Bereits erkennbare Schadensbilder an Dächern, Fassaden und der kompletten Architekturraumschale lassen eine tiefe Schädigung des Baugefüges vermuten. Klaffende Fugen, Schiefstellungen und ein deutlicher Steinversatz an zahlreichen Stellen weisen auf einen gestörten Mauerverband hin. Es droht ein Versagen der Tragfähigkeit der Außenschale. Auch die Gesimse, Pilaster und andere Zierelemente zeigen massive Schädigungen, zum Teil mit der Gefahr des Abbruchs.
120 Jahre nach ihrer Errichtung ist die Zukunft der Kirche ungewiss, weil sie im wahrsten Sinne des Wortes auf unsicherem Boden steht und allein schon die Wiederherstellung ihrer Statik einiges kosten wird, ganz zu schweigen von der darüber hinaus erforderlichen Sanierung. Die diesbezüglichen Analysen haben noch zu keinem belastbaren Ergebnis geführt, und entsprechend unklar ist, wer sich an der Instandsetzung finanziell beteiligen wird.
Auf dem Weg zur Sanierung
Ungeachtet dessen hat die evangelische Kirchengemeinde bereits Vorstellungen, wie die Kaiser-Wilhelm-Kirche in einem der „Great Spas of Europe“ genutzt werden könnte: Auf jeden Fall soll sie als ein kirchlicher Ort in die Kurstadt eingebettet bleiben und daneben Bühne für Konzerte sowie großes und kleines Theater sein, wie es im Exposé der Kirchengemeinde zur künftigen Nutzung heißt: „Mit ihrer Lage, ihrer durchdachten Innenarchitektur und kunstvollen Gestaltung ist sie prädestiniert als ein Ort der Künste und Kultur.“ Darüber hinaus soll sie auch ein Ort des sozial-diakonischen Engagements werden, das zu den ureigensten Aufgaben der Kirche gehört, und ein Ort der Bildung, wie sie sich der Protestantismus auf seine Fahne geschrieben hat. „Wie der Kurbetrieb insgesamt das Ziel verfolgt, dass Menschen an Leib und Seele heil werden können, so ist auch das künftige Nutzungskonzept der Kaiser-Wilhelm-Kirche genau darauf ausgerichtet“, sagt Gemeindepfarrerin Lieve Van den Ameele. So exponiert, wie die Kaiser-Wilhelm-Kirche in die Stadtsilhouette eingebettet sei, so beispielhaft könne hier kirchliches Engagement deutlich werden.
Dass es von der Sanierung bis zu einer auskömmlichen Bewirtschaftung noch ein weiter und steiniger Weg ist, weiß der Kirchenvorstand der evangelischen Gemeinde. Als Zeichen für die zuversichtliche Haltung zum Projekt Kaiser-Wilhelm-Kirche hat sich - wie seinerzeit das „Comité“ - ein Förderverein gebildet, der den Kirchenvorstand bei den komplexen Bau- und Finanzierungsfragen unterstützen möchte.
Einen Kaiser, der das Vorhaben prominent mit anschiebt, gibt es nicht mehr, dafür müssen die Stadtgesellschaft, der Landkreis und das Land Rheinland-Pfalz mit im Boot sein, um die Wiederherstellung des Gebäudes zu erreichen. Und was schon beim Bau für die langen Jahre zwischen Wunsch und Wirklichkeit angezeigt war, ist heute ebenso vonnöten: Geduld, Beziehungen und Zuversicht. Der Kirchenvorstand bittet um Gottes Geleit für die anstehenden Entscheidungen.
Wilfried Steller
Quality Time in Bad Ems - Exposé zur zukünftigen Nutzung der Kaiser-Wilhelm-Kirche
Die Evangelische Kirchengemeinde Bad Ems sucht der Stadt Bestes und will in der Kaiser-Wilhelm-Kirche „Quality Time“ für Menschen von nah und fern bieten, nachdem die Statik des 120 Jahre alten Gebäudes gesichert sein und eine umfängliche Renovierung erfolgt sein wird.
Eine protestantische „Badekirche“, die den langen Weg zur alten Dorfkirche ersparte, von Kaiser Wilhelm I – häufiger Kurgast in Bad Ems – befürwortet und später von Pastor Friedrich von Bodelschwingh, ebenfalls ein prominenter Kurgast, weiter vorangetrieben, das ist die 1899 eingeweihte Kaiser-Wilhelm-Kirche am Malberg in Bad Ems. An einer zentralen Stelle im Kurort bildet sie unweit des Kurbahnhofs auf einer Anhöhe oberhalb der Lahn ein direktes Gegenüber zu Häckers Grand Hotel, der Spielbank und den diversen Kur- und Ge-sundheitseinrichtungen. Einst stand sie frei auf dem Berg in einer parkähnlichen Anlage, heute ist sie Teil der Oststadt und zugleich markanter Part eines historischen Ensembles.
Der Architekt Karl Siebold hat hier einen bedeutenden Kirchbau des Historismus im neoromanischen Stil geschaffen; Neoromanik galt vor allem im protestantischen Deutschland als „Nationaler Baustil“. Der sehr kompakte Baukörper in Grundform des Lateinischen Kreuzes wird durch Annexe, die die Funktions- und Erschließungsflächen aufnehmen, in den Ecken der Kreuzarme ergänzt. Der Glockenturm liegt folgerichtig in der nordwestlichen Ecke aus Haupt- und Querschiff und bildet im Untergeschoss den hangseitigen Haupteingang. Die äußere Erscheinung der Kirche ist vollständig als steinsichtiges Quadermauerwerk im Stile einer romanischen Kirche konstruiert. Anders als die historischen Vorbilder erhält das Mauerwerk der Kaiser-Wilhelm-Kirche jedoch seine Monumentalität nicht durch massive Quader in Mauerstärke, sondern durch eine vorgeblendete dünnwandige Natursteinbekleidung vor dem eigentlichen, tragenden Mauerwerk aus Backsteinen.
Bereits erkennbare Schadensbilder an Dächern, Fassaden und der kompletten Architekturraumschale lassen eine tiefe Schädigung des Baugefüges vermuten. Klaffende Fugen, Schiefstellungen und ein deutlicher Steinversatz an zahlreichen Stellen weisen auf einen gestörten Mauerverband hin. Es droht ein Versagen der Tragfähigkeit der Außenschale. Auch die Gesimse, Pilaster und andere Zierelemente zeigen massive Schädigungen, zum Teil mit der Gefahr des Abbruchs.
Die Kirchengemeinde prüft die Möglichkeiten der Sanierung des derzeit für die Öffentlic-keit nicht zugänglichen Gebäudes und entwirft ein Nutzungskonzept. Dazu gibt es folgende Überlegungen:
Die Heilkraft der Quellen, das günstige Klima und die herrliche Landschaft ziehen seit jeher Erholungs- und Heilungssuchende in die Stadt an der Lahn. Bad Ems zog sowohl die sozial schwachen Arbeiter aus dem Ruhrgebiet an wie auch die Reichen und Schönen der Welt, die russischen Zaren Nikolaus I und Alexander II etwa sowie den belgischen König Leopold II. Sie beherbergte zahlreiche Berühmtheiten wie den russischen Dichter Fjodor Dostojewski. Für seine Heilquellen berühmt seit römischer Zeit und als Kaiserbad bekannt geworden im 19. Jahrhundert, war der Ort stets bemüht, Heilung für Leib und Seele zu er-möglichen. Wer an der Lahn entlang flaniert, ahnt, warum zahlreiche einflussreiche Euro-päer einst das „Weltbad“ zur Sommerresidenz erkoren haben.
In der Kurstadt mit Weltflair ist es normal, auch Englisch, Französisch und Russisch zu hören, sogar Niederländisch ist hin und wieder entlang der Römerstraße zu vernehmen, welche das Kurviertel mit dem alten Dorf verbindet. Beide Bereiche haben sich verändert: Die Sommerresidenzen der Reichen im Kurviertel werden längst nicht mehr von ihren Besitzern bewohnt, und im alten Dorf leben nun auch viele Zugezogene aus aller Welt. Zu den Kur- und Reha-Maßnahmen kommen auch weniger betuchte Gäste nach Bad Ems, die dort ein ganzheitliches Heil-Werden suchen. Attraktiv ist der Ort schließlich auch für Menschen, die auf der Bäderstraße unterwegs sind und den Ort eher zufällig entdecken, ebenso wie für Touristen, die ihn zum Beispiel als Ausgangspunkt für Hiking-Touren ausgesucht haben.
Mittendrin hält die Kaiser-Wilhelm-Kirche einen Dornröschen-Schlaf. Da sie einen wichtigen Orientierungspunkt im Stadtbild darstellt und unter Denkmalschutz steht, ist es unser aller Pflicht, sie aus dem Dornengestrüpp zu befreien und wieder aufzuwecken. Sie wartet auf eine neue Verwendung.
So stellt sich die Frage: Was braucht Bad Ems von dieser Kirche, einem ihrer großen Wahrzeichen? Und was braucht das Wahrzeichen von der Kurstadt, dessen Silhouette sie immer noch mitprägt? Welchen Platz kann die Kaiser-Wilhelm-Kirche in einem der „Great Spas of Europe“ einnehmen?
Um neu zum Leben erweckt zu werden, wird die Kaiser-Wilhelm-Kirche vier Standbeine brauchen:
1. Einst als kirchlicher Ort in die Kurstadt eingebettet, soll sie weiterhin ein kirchlicher Ort für die evangelische Gemeinde bleiben, darüber hinaus aber auch im größeren Rahmen für die Kurstadt und die Region ein Ort für kleine Andachten, Seelsorge und Einkehr sein wie auch für große, weltoffene Gottesdienste.
2. Wegen ihrer hervorragenden Akustik wird die Kaiser-Wilhelm-Kirche erneut Bühne für Konzerte, großes und kleines Theater sein können. Mit ihrer Lage, ihrer durchdachten Innenarchitektur und kunstvollen Gestaltung ist sie prädestiniert als ein Ort der Künste und Kultur.
3. Zu den ureigensten Aufgaben der Kirche gehört ihr sozial-diakonisches Engagement. Auch in Bad Ems brauchen Menschen Orte, an denen sie willkommen sind und Hilfe erfahren. Kurgäste und Touristen sollten hier ebenso einen Anlaufpunkt finden wie Bewohner und Bewohnerinnen, denen das Leben nicht wohlgesonnen ist.
4. Eine Stadt, die sich mit ihrer Tradition im Weltkulturerbe sieht, braucht Bildung. Kurse als Nebenprodukt der Medizinindustrie sind hier ebenso denkbar wie Fortbildungsseminare in der Führungsstruktur diverser Unternehmen, vielleicht gar als Kongressort mit eigenem Flair.
Gottesdienst, Kultur, Soziales und Bildung - das könnten die vier künftigen Standbeine der Kaiser-Wilhelm-Kirche sein, um das historische Gebäude zu erhalten, neu mit Leben zu füllen und zugleich eine dem exponierten Standort angemessene beispielhafte Verwendung zu etablieren. Was davon im neuen Glanz des Gebäudes welchen Raum einnehmen kann, wird im Rahmen der architektonischen Möglichkeiten wesentlich von den Impulsen und Beiträgen aus der Stadtgesellschaft abhängen.
Die evangelische Gemeinde benötigt für ein tragfähiges Nutzungskonzept und eine auskömmliche Bewirtschaftung zahlreiche Kooperationspartner aus Stadt und Umland. Wenn das Wohlergehen der Menschen auf verschiedenen Ebenen im Mittelpunkt steht, dann kann, dann muss das Projekt Kaiser-Wilhelm-Kirche gelingen.
Lieve Van den Ameele, Gemeindepfarrerin in Bad Ems | Stand: 27. Mai 2019
FAQ zur Kaiser-Wilhelm-Kirche
Häufig gestellte Fragen zur Wiederherstellung (Stand: 9/2023)
1. Was ist mit der Kaiser-Wilhelm-Kirche (KWK) eigentlich los?
Die Kirche ist seit 2017 wegen Baufälligkeit geschlossen. Risse deuteten schon längere Zeit auf Statik-Probleme hin. Bodenuntersuchungen im Juli 2020 haben nun ergeben, dass die Kirche an keiner Stelle auf Fels gegründet ist. Vom Felsuntergrund trennt eine etwa drei- bis vier Meter mächtige Schicht aus Hochflutlehmen und Hangschuttmassen. Zudem wurde zwischen einem und vier Metern unter der Geländeoberkante eine markante Vernässungszone mit breiig-weicher Konsistenz vorgefunden, was aufgrund unterschiedlicher Belastungen und Gründungstiefen zu Setzungen geführt hat. Zurückzuführen ist dies auf Veränderungen im Wasserhaushalt, die durch das konzentrierte Einsickern von Niederschlagswasser um die Kirche sowie defekte Leitungen begünstigt werden. Grundsätzliche statische Fehler in der Bauausführung sowie eine unzureichende Dachentwässerung haben ihren Anteil an der Schadensbildung außen und innen. Auf ein Hangkriechen oder den Tunnelbau als Auslöser gibt es keine belastbaren Hinweise, weil Risse schon vor dem Jahr 2000 festgestellt worden sind.
Das alles hat dazu geführt, dass das Gebäude auch aufgrund der auflagernden Gewichte auf der unterkellerten Talseite bereits 8cm niedriger liegt als auf der Hangseite. Der nicht direkt belastete Boden der Kirche hat sich dabei aufgewölbt, und es ist zu Verwerfungen in der Gebäudestruktur gekommen. Diese setzen sich weiter fort, so lange die Kirche im Untergrund nicht stabilisiert ist. Erst nachdem eine Sicherung erreicht ist, kann man über eine Sanierung des Mauerwerks und eine Wiederverwendung des Gebäudes nachdenken. An eine Wiedereröffnung ist daher vorerst nicht zu denken.
2. Wie hoch werden die Kosten zur Wiederherstellung veranschlagt?
Bisher gibt es nur sehr grobe Schätzungen, die nicht belastbar sind.
Noch bevor man überhaupt nachdenken kann über eine Wiederherstellung, besteht die vordringlichste Aufgabe darin, die Ursachen für die Schieflage noch genauer als bisher zu erkunden, um dann auch gut und zuverlässig abschätzen zu können, wie eine Stabilisierung der Kirche gelingen kann. Zunächst müsste die Vernässungszone unter der Kirche weitgehend trockengelegt werden. Dafür müsste das gesamte Entwässerungssystem - auch das unterirdische - erneuert werden, sodass kein Oberflächenwasser mehr in den Boden um die Kirche herum eindringen kann. Allein das ist nicht von einem Jahr aufs andere zu erreichen. Im allerbesten Fall ist aber schon damit für die Stabilität des Gebäudes viel gewonnen. Wenn nicht, muss über ergänzende Maßnahmen zur Verbesserung der Gründung nachgedacht werden. Das Unterspritzen der Kirche mit einer stabilisierenden Masse wäre dann eine Möglichkeit, wenn sich der Hang ansonsten als hinreichend stabil zeigt. Alleine dabei reden wir von einer Maßnahme im mittleren sechsstelligen Bereich.
Wenn die Kirche standfest ist, kann man an die Sanierung der Gebäudestruktur denken. Unter anderem muss das Mauerwerk an allen Seiten in Ordnung gebracht werden; innen haben mit der Feuchtigkeit aufsteigende Salze schwere Schäden verursacht. Es sind tief und hässliche Setzungsrisse entstanden.
Letzter Schritt wäre die Restaurierung und Nutzbarmachung im Inneren. Dazu kämen noch Umbaukosten für die zukünftige konkrete Nutzung.
Bei den erforderlichen und wünschenswerten Maßnahmen gibt es nach wie vor viele Unwägbarkeiten und entsprechende Kostenrisiken. Geht man vom Ziel einer kompletten Wiederherstellung der Kirche aus, so kann die Gesamtsumme leicht einen zweistelligen Millionenbetrag ausmachen.
3. Was hat der Kirchenvorstand beschlossen?
Der Kirchenvorstand hat im Februar 2020 beschlossen, dass er die Aufgabe der Kirche als reine Gemeindekirche beabsichtigt. Eine regionale und evtl. multifunktionale Nutzung ist durchaus wünschenswert, aber nur realistisch, wenn die Gemeinde auf Unterstützung durch Landeskirche, Land, Bund und weitere Sponsoren hoffen kann.
4. Warum beabsichtigt der Kirchenvorstand die Aufgabe der Kirche?
a. Für den unmittelbaren Gemeindebedarf ist die Kirche zukünftig nicht mehr erforderlich. Der Gebäudebestand in der Kirchgasse ist im Übrigen gemessen an der Gemeindegröße ohnehin zu reichlich, und die der Gemeinde zustehende Versammlungsfläche ist ohne das KWK-Areal bereits ausgeschöpft.
b. Dazu kommt, dass die Kirchengemeinde keine eigenen Mittel für die Wiederherstellung der KWK hat; die Gemeinde bedient immer noch Darlehen, die für die Renovierung der Martinskirche und der Eule-Orgel in Anspruch genommen worden sind. Einen Kredit in der erforderlichen Größenordnung aufzunehmen, wäre für zukünftige Generationen absolut unverantwortlich, zumal die Gemeinde ihre Zuweisungen durch die Landeskirche für die laufende Arbeit benötigt und sie nicht über Jahrzehnte zu einem großen Teil in leblose Steine investieren kann.
c. Selbst wenn die Kirche durch öffentliche und private Hände wiederhergestellt werden könnte, würde die kontinuierliche Baulast die Möglichkeiten der Gemeinde überschreiten. Darüber hinaus fehlen auch die langfristigen personellen Ressourcen für die dort zu leistende Arbeit. Diese würden eher in der laufenden Gemeindearbeit benötigt, als dass sie für ein so großes Projekt erübrigt werden könnten.
5. Darf der Kirchenvorstand über die KWK verfügen?
Gebäude und Boden gehören der Kirchengemeinde, und zu den Aufgaben des Kirchenvorstandes gehört auch die verantwortungsbewusste Verwaltung der Liegenschaften. Die Entscheidung über die Zukunft der Kirche sowie die weiteren Schritte werden selbstverständlich mit dem Dekanat und der Landeskirche abgestimmt. Sofern am Ende eine Umwidmung oder eine Abgabe steht, ist sogar ein Synodenbeschluss erforderlich.
6. Die KWK ist denkmalgeschützt. Muss sie nicht erhalten werden?
Der Erhalt des Gebäudes ist zweifellos wünschenswert, kann aber auch nicht um jeden Preis geschehen. Eine kirchliche Nutzung ist nicht zwingend. Es wäre also prinzipiell denkbar, die Kirche an einen potenten Käufer abzugeben, der sie dann für eigene Zwecke herrichtet. Dabei ist zu bedenken, dass die Kirche gerade deshalb erhaltenswert ist, weil sie weitgehend den Originalzustand nach dem Bau widerspiegelt. Ein tiefes Eingreifen in die Substanz würde den Denkmalwert zunichte machen. Denkbar wäre nach derzeitigem Stand vielleicht ein Austausch der Bänke gegen Stühle, nicht jedoch zum Beispiel die Umwandlung in ein Hotel.
7. Wird die Gemeinde in den Prozess zur Aufgabe der KWK einbezogen?
Die Gemeinde wird bereits jetzt im Rahmen der Abkündigungen, des monatlichen Newsletters und auf der Homepage der Kirchengemeinde über die Entwicklungen laufend informiert. Mitglieder des Kirchenvorstandes und Pfarrerin Van den Ameele stehen als Ansprechpartner zur Verfügung.
Wenn es bei der Absicht bleibt, die Kirche aus der gemeindlichen Finanzierung herauszunehmen, müssen auch Dekanat und Landeskirche sich positionieren.
8. Gibt es nicht bereits ein Nutzungskonzept für die KWK?
Als "Vision" für die Kaiser-Wilhelm-Kirche wurde ein Nutzungskonzept entworfen. Darin ist dargelegt, dass eine ausschließlich gemeindliche Verwendung des Gebäudes aus Gründen der Kosten und des Bedarfes nicht möglich sein wird. Es müssen also Partner gefunden werden, die allerdings auch die Herrichtung und eine neue Innenstruktur des Gebäudes mitfinanzieren sowie auch zukünftig für den laufenden Bauunterhalt mit aufkommen. Gedacht war zum Beispiel an eine teils kirchliche Nutzung durch Kirchengemeinde und Diakonie und eine teils private und/oder öffentliche Nutzung als Ort für Kultur und Bildung. Die bisher geführten Gespräche machen im Blick auf die Suche nach finanzstarken Partnern leider nicht optimistisch. Das Gebäude ist für ein solches Konzept womöglich auch zu klein. Wenn eine regionale bzw. multifunktionale Nutzung sich tatsächlich als unrealistisch erweisen sollte, ist an einen Verkauf der KWK zu denken.
9. Was wird aus dem Gemeindehaus an der KWK?
Derzeit ist der erste Stock bewohnt; die Gemeinderäume im Erdgeschoss werden von der Kirchengemeinde nicht benötigt. Im Benehmen mit dem Dekanat und der Landeskirche kann das Gebäude früher oder später aufgegeben werden.
10. Was wird aus dem Förderverein für die Renovierung der KWK?
Der Förderverein hat in der Vergangenheit sehr engagiert und erfolgreich gearbeitet, sowohl was das Einbringen von Finanzen angeht wie auch als Lobby. Aus Gemeindesicht wird er auf jeden Fall weiterhin gebraucht, sozusagen bis zur letzten Minute. Wenn er eines Tages für sich entscheidet, dass sich seine Aufgabe erledigt hat, wäre es für die Gemeinde sehr sinnvoll, wenn er sich für das Gebäude-Ensemble in der Marktstraße einsetzt.
11. Wie lange wird sich die Unsicherheit noch hinziehen?
Wir befinden uns nach sechs Jahren der Schließung noch immer in der Erkundungsphase. Nach vorsichtigen Vermutungen wird diese sich noch ins kommende Jahr hinein erstrecken. Danach erst kann über die Sicherung nachgedacht werden - technisch wie finanziell.Die Trockenlegung der Venässungszone unter der Kirche wird eher Jahre als Monate in Anspruch nehmen. Wenn die Kirche dann tatsächlich nachhaltig standfest ist, können die weiteren Sanierungsmaßnahmen in den Blick genommen werden.
Der Weg zur Wiederherstellung ist also lang und teuer, der vor uns liegt. Aber auch, wenn man an die Aufgabe oder einen Verkauf der KWK denkt, können Jahre vergehen.
12. Wer könnte als Käufer der KWK in Betracht kommen?
Das ist derzeit noch eine absolut theoretische Frage, da ja nichts endgültig entschieden ist und vor allem nicht geklärt ist, wo die Gelder herkommen können. Am besten wäre es natürlich, wenn die KWK überregional kirchlich genutzt werden könnte. Sollte es zum Verkauf kommen, gibt es landeskirchliche Regeln. Den Zuschlag würde nicht automatisch der Meistbietende erhalten. Je größer die geistliche Nähe des Interessenten zur Kirchengemeinde ist, desto eher kommt er als Käufer in Frage. Eine Institution der evangelischen Kirche oder eine Mitgliedsgemeinde in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen zum Beispiel hätte höchste Priorität, auch eine in ihrem Bekenntnis kompatible Migrationsgemeinde käme in Frage, ebenso eine jüdische Gemeinde, die Kommune oder der Staat sowie eine kulturelle oder mildtätige Organisation. Bei privaten oder gewerblichen Institutionen müsste man genauer hinschauen. Nichtchristliche oder Weltanschauungs-Gemeinschaften kommen nicht in Frage.
13. Was geschieht, wenn die KWK tatsächlich abgegeben wird?
Allen Beteiligten ist klar, dass über beinahe 120 Jahre viele Familiengeschichten und Emotionen mit der Kaiser-Wilhelm-Kirche verbunden sind, sei es durch Taufen, Trauungen, Hochzeiten oder viele andere Ereignisse. Den Beschluss zur Abgabe der KWK macht sich die Kirche nicht leicht; am Ende entscheidet die Landessynode, was mit der Kirche geschieht. Sobald feststeht, dass die Kirche tatsächlich nicht mehr kirchlich genutzt werden wird, wird sie in einem öffentlichen Akt entwidmet.
14. Werden Gebäudeteile und/oder Inventar im Fall der Aufgabe der KWK gesichert?
Für diesen - im Moment nur theoretischen - Fall ist vorgesehen, einige wenige Teile des Inventars in die Kirchgasse oder in ein Museum zu überführen. Welche Gegenstände im Einzelnen gerettet werden können, müsste ggf. untersucht werden; das ist natürlich auch eine Frage des Platzes. Sinnvoll wäre es, das aufgegebene Gebäude vor der Entwidmung so gut als möglich zu dokumentieren.
Stand: 20.9.2023