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Lieve Van den Ameele
Die fünf reformatorischen Solas

Evangelisch glauben - eine kleine Einführung in protestantisches Denken

Fünfmal “Allein”

Wenn Evangelische nach den Grundlagen ihres Glaubens gefragt werden, tun sie sich oft schwer, denn zu komplex erscheint das ganze Gedankengebäude. Muslime etwa können einprägsam auf die fünf Pflichten-Säulen des Islam verweisen: das Glaubensbekenntnis, das Gebet, das Fasten, die soziale Pflichtabgabe und die Pilgerfahrt nach Mekka. Was manche nicht wissen: Auch im Protestantismus gibt es einen einfachen Grundlagen-Katalog, der dessen Alleinstellungsmerkmale zusammenfasst. Je nach Ausprägung werden vier oder fünf Solae oder Solas oder Soli des Glaubens genannt, zu deutsch: ein vier- oder fünffaches “Allein”.

Die fünf Solas sind wie fünf Säulen, auf welchen der evangelische Glaube steht. Für ein lebenslanges Lernen bieten die fünf Solas eine erste Orientierung als Zusammenfassung. Die ersten vier stammen von Martin Luther, dem Reformator aus Wittenberg. Die fünfte hat sein Kollege, Johannes Calvin, der Genfer Reformator, hinzugefügt.

1. “Allein die Schrift” (“sola scriptura”) offenbart Gottes Gerechtigkeit und hilft den Menschen zu glauben. Es brauche keine weitere Lehre der Kirche, sagten die Reformatoren. Für Luther sind die Texte der Bibel Texte, die das Leben von Menschen verändern können, denn in ihnen steht die Botschaft von Heilung, Rettung und Erlösung. Zu den Worten der Bibel gehören für Luther auch die Sakramente, also die Taufe und das Abendmahl. Sie sind für ihn sichtbares Wort.

2. “Allein aus Gnade” (sola gratia) können Menschen an Gott glauben und Anteil bekommen an seinem Reich. Es ist also keine Leistung, sondern ein Geschenk Gottes selbst. Er nimmt Menschen an „aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit ohn all mein Verdienst und Würdigkeit“, wie Luther im Kleinen Katechismus schreibt. Die Gnade  kommt von außen, der Mensch kann sie nicht erzeugen, er kann sie nur empfangen. Weil nun die Menschen wissen, dass sie bedingungslos von Gott angenommen sind, können sie sich auch selbst an andere verschenken, sozusagen aus sich „herausgehen“ und anderen Gottes Liebe weitergeben. Nicht einmal große Verfehlungen können die Wirkung der Gnade verhindern, sie ist immer größer als alles, womit Menschen sie verwirken könnten.

3. “Allein durch Glauben” (“sola fide”) wurde Abraham gerecht. Damit der Glaube wirken kann, müssen Menschen sich sozusagen in ihn hineinfallen lassen. Das heißt, sie müssen sich ganz Gott anvertrauen. Selbst die Fähigkeit, sich fallen zu lassen, sei letztlich ein Geschenk der Gnade, betonen die Reformatoren. Auch hier kann also der Mensch nichts aus eigener Kraft “machen”.

4. “Allein Christus” (“solus Christus”) konnte die Macht der Sünde und des Todes brechen. In Christus ist Gott zu den Menschen gekommen, um sie aus allen Zwängen zu befreien. Für Luther ist Christus deswegen der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen; andere Mittler wie Heilige oder Priester sind nicht nötig.

Das fünfte “Allein” in der Reihe hat uns der Reformator Johannes Calvin mit auf den Weg gegeben: “Allein Gott gehört die Ehre” (“soli Deo gloria”). Es spiegelt sich etwa in Psalm 68: „Gelobt sei der Herr täglich. Gott legt uns eine Last auf, aber er hilft uns auch. Wir haben einen Gott, der da hilft und den Herrn, der vom Tode errettet.“

Gott allein die Ehre zu geben, ist eines der zentralen theologischen Anliegen Calvins. Der aus Frankreich stammende Reformator erlebte die Vertreibung der dortigen Protestanten hautnah mit. Für die Verfolgten und Geschundenen, wie etwa die Hugenotten aus Frankreich, ist das “Gott allein gehört die Ehre” Theologie der Befreiung: Die Mächtigen, die euch jetzt so sehr zu schaffen machen, sie sind begrenzt in ihrer Macht. Was sie sich gegen euch herausnehmen, steht ihnen nicht zu. Als Herren über Leben und Tod spielen sie sich auf - aber ihnen gebührt nicht euer Respekt und erst recht keine Ehre. Nicht eine abstrakte Überlegenheit und Mächtigkeit Gottes steht hier im Mittelpunkt, sondern die Ehre des Gottes, der den Menschen mit Huld, also mit Barmherzigkeit und Liebe zugetan ist. Ihn zu ehren bedeutet, die Spur seines Segens, seiner Hilfe im eigenen Leben zu entdecken. Ihn rühmen, das heißt Kontakt zu dem zu suchen, der meiner Lebensnot ein Ende machen kann, und dem selbst der Tod keine unüberwindliche Schranke zu setzen vermag. Plakativ formuliert: Gott groß sein lassen führt zu eigenem Lebensgewinn. Gottes Ehre, das ist unsere Freiheit.

Gott allein die Ehre zu geben, war für Calvin eine Lebenspraxis und eine Herzensangelegenheit. Und so hat dieser streng denkende Theologe sich als Bild für sein Siegel eine ausgestreckte Hand gewählt, die Gott das Herz darreicht. Dass unser Herz zu Gott findet, dazu hilft es, immer wieder einzustimmen in die Lieder von der Ehre Gottes - zum Beispiel das Lied: “Allein Gott in der Höh sei Ehr”, EG 179, oder die Strophe: “Anbetung, Ehre, Dank und Ruhm sei unserm Gott im Heiligtum ... Er kann, er will, er wird in Not vom Tode selbst und durch den Tod uns zu dem Leben führen” (EG 281,3).

Pfarrerin Lieve Van den Ameele

Lieve Van den Ameele
Reformatorisch denken
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