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Perspektivwechse: Wir sind jetzt dran!

Als ich in der Oberstufe war, wurden wir – ca. 350 Oberstufen-Schülerinnen jeden Montagmorgen von der Schwester-Rektorin im großen Studiensaal zusammengerufen, um uns die Mitteilungen für die Woche anzuhören.

Das Meeting begann stets mit demselben Gebet: „Komm, Heiliger Geist, und bewege deine Kirche.“ – drei Jahre lang… Spätestens nach einigen Wochen schauten wir Schülerinnen uns an und fragten uns: „Was macht sie jetzt, wenn das auch wirklich passiert?“ Und ja, es ist so eine Sache mit dem Beten: Erwarten wir eigentlich, dass unsere Gebete erhört werden, oder beten wir nur, weil man das eben so macht?

Ich stelle mir vor, dass die Jünger*innen sich nach Ostern wochenlang gefragt hatten, wie es nun weitergehen würde, und sich gegenseitig erzählt haben, was sie alles mit Jesus erlebt hatten. Und dann plötzlich werden sie eher unsanft aus ihrer Grübelei geholt. Am ersten Pfingstfest kam – wie Apostelgeschichte 2 erzählt – der Heilige Geist sichtbar und spürbar zu den dort in Jerusalem Versammelten herab.

So lange Jesus „zum Greifen nah“ war, hatte sich alles auf ihn konzentriert. Er sollte es machen, er sollte alles verändern, retten, heilen, eine neue Politik, ja, eine neue Gesellschaft implementieren. Schon zu Lebzeiten hatte Jesus versucht, diese enge Sicht seiner Zeitgenoss*innen zu weiten. An Himmelfahrt hat er es noch einmal klar gesagt: Ihr müsst es jetzt selbst in die Hand nehmen! Selbst Mit-Verantwortung für das Wachsen des Reiches Gottes übernehmen. Selbst Zeug*innen der Guten Nachricht werden. Das ist der Perspektivwechsel.

Der Zusammenhang zwischen Himmelfahrt und Pfingsten ist wichtig: Jesus geht, der Heilige Geist kommt. Jesus geht nicht in den Himmel als „Ort“, sondern kehrt zurück an die Seite des Vaters. Der „Himmel“ ist in biblischer Sprache einfach da, wo Gott ist, also: überall. Und im Himmel wohnt die Macht. Jesus ist nun nicht mehr nur als Mensch und körperlich präsent, sondern als Gott überall. Er wirkt durch den Heiligen Geist. Die Pfingstgeschichte berichtet dabei nicht etwa von einer Perfektionierung des Glaubens und Lebens. Sondern sie berichtet vom mutigen Aufbruch nach draußen, vom öffentlichen Bekenntnis zu Jesus, einem Bekenntnis, das die Konfrontation nicht scheut.

„Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen (Apostelgeschichte 1,8).“ Bislang waren sie zusammengekommen, um sich gemeinsam zu erinnern, zu beten und das Brot zu brechen. An eben diesem ersten Pfingsttag fand nun der Perspektivwechsel statt. Erfüllt von Freude, Klarheit und Mut, der Liebe zu Jesus und vom Miteinander in der Gemeinde und darüber hinaus, verbreiteten die ersten Christen die Frohe Botschaft: „Jesus lebt und wir mit ihm.“ Die Kirche Jesu Christi ist geboren. Der Heilige Geist – so erzählt es der Evangelist Lukas – sorgt dafür, dass die Leute Jesu nicht unter sich bleiben. Denn der Heilige Geist ist kein Hausgott, kein Familiengeist und keine Heimatgottheit. Wenn es anders wäre, wären wir noch die alten Germanen. Und das Christentum wäre nie in die Gänge gekommen und aus sich herausgegangen.

Gottes Geist setzt Menschen in Bewegung, die sich bis jetzt als ohnmächtiges Rädchen im Weltgetriebe erlebt haben. Das ist der Perspektivwechsel. Gottes Geist stärkt unser Selbstbewusstsein und überwindet die Ängste vor dem Fremden. Gottes Geist lässt mich auf die Kraft des Gebetes vertrauen, wo andere auf Gewalt setzen. Gottes Geist schenkt mir den langen Atem, wo andere schon längst aufgegeben haben. Gottes Geist schenkt mir Vertrauen in seine großen Taten und meine Möglichkeiten aus der Schwäche heraus. Gottes Geist zeigt mir Maßstäbe eines moralisch gebundenen Gewissens auf, die nur Bestand haben, wenn sie das Lebensrecht des anderen einschließen.

Lieve Van den Ameele


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