Patchwork mit Hinguckern
Natürlich ist das von den beiden lange vorbereitet. Natürlich haben sich die beiden Teilfamilien schon länger beschnuppert, und natürlich sind auch die getrennt lebenden Elternteile so gut wie möglich involviert. Das alles kommt also nicht unvorbereitet. Dennoch ist es - nicht zuletzt für die Kinder - eine Herausforderung, dann auch im Patchwork zusammenzuwohnen, statt wie bisher ab und an mal etwas Zeit miteinander zu teilen. Auch die Erwachsenen haben jetzt einen gemeinsamen Alltag, eine Riesen-Verantwortung - und nicht nur gemeinsame Stunden.
Mir kommt dabei in den Sinn, dass unsere Gemeinden ja auch irgendwie zusammenziehen in ein großes gemeinsames Haus. Statt dass jede Gemeinde ihre eigenen Räume hat, haben wir jetzt Räume gemeinsam. Die eine oder andere Gemeinde mag ihr Lieblingszimmer weiterhin nutzen können, andere Gemeinden müssen sich ein anderes Zimmer suchen, weil es das alte nicht mehr gibt oder nicht mehr lange.
Der Umzug kommt für die Kinder, für die Gemeindeglieder, absolut nicht überraschend. Die Eltern, die Kirchenvorstände, haben das lange vorbereitet. Allerdings gehen sie keine Liebes-Verbindung ein, sondern tun sich aus Vernunftgründen zusammen in einer Art arrangierter Wohngemeinschaft. Für alle Zimmer reicht das Geld nicht, daher müssen wir Kompromisse eingehen. Einige Kinder fragen selbstverständlich: Warum muss ich mein Zimmer hergeben, und andere dürfen ihres behalten? Warum müssen wir überhaupt zusammenziehen, wo es doch bisher auch schön und gut lief? Und warum soll ich mit jemandem zusammenziehen, den ich weder richtig kenne noch wirklich mag?
Jeder vernünftige Mensch wird bei solchem Aufbegehren der Kinder auf die Verantwortung der Elternteile verweisen, die das Unvermeidliche vorbereiten und einfädeln müssen. Die Kinder müssen in Kontakt miteinander gebracht werden, müssen die Zeit und Muße haben, sich aneinander zu gewöhnen und die einen oder anderen Ressourcen schon mal miteinander zu teilen, müssen dahin kommen, dass sie vielleicht nicht total begeistert sind von dem neuen gemeinsamen Haus, aber doch ihren Platz darin suchen und sich nach und nach auch miteinander darin zurechtfinden. Nachbarn kann man sich ja auch nicht aussuchen, wie man weiß, man kann nur versuchen, möglichst gut miteinander auszukommen. Umso schöner ist es, wenn die Hausgemeinschaft diesem Namen alle Ehre macht.
Ich muss das jetzt nicht explizit auf unsere Situation übertragen, denn jede und jeder hier weiß natürlich, dass die Verantwortung für eine gelingende Nachbarschaft bei den Kirchenvorständen beginnt. Sie müssen im Zweifelsfall auch die Argumente liefern und dafür geradestehen. Aber es gibt ja gute Argumente, denn da ist einiges, was von jeder Gemeinde in die neue Hausgemeinschaft eingebracht wird. Die eine bringt die Regenbogenfarben ein, die andere hat Erfahrung mit einem freikirchlichen Gemeindeaufbau, eine andere pflegt eine gute Gemeinschaft, noch eine andere hält die Tradition hoch, andere versuchen, in der Erfahrung des Traditionsabbruchs neu Heimat und Zukunft zu bieten - insgesamt ein buntes Patchwork also. Wie die sehr verschiedenen Kinder mit ihren sehr unterschiedlichen Gaben im neuen Haus ihren Platz finden dürfen, so auch die Gemeinden, denn Vielfalt ist Reichtum, und Diversifikation ist eine bekannte Unternehmensstrategie, mit der die Erfolgsaussichten maximiert werden sollen. Mit Monokulturen dagegen kann man böse auf die Nase fallen, auch mit religiösen.
Ich wünsche uns allen einen wirklich gut vorbereiteten und fröhlichen Einzug ins Haus der Nachbarschaft.
Wilfried Steller, Vorsitzender der Steuerungsgruppe Rhein-Lahn-Eck