Geistliches Wort
Kirche muss bei den Menschen sein
Come in and find out
Pfarrerin Lieve Van den Ameele hielt zu dieser Gelegenheit eine Andacht, die auf die vergangenen gut sieben Jahre zurückschaut.
Unterwegs in Afrika
Ein Entdeckungsreisender (oder Missionar) war einst unterwegs in Afrika – zusammen mit Trägern und Übersetzern. Eines Tages jedoch weigerten sich die Träger weiterzuziehen. „Wollen sie mehr Geld?“, mutmaßte der Leiter der Expedition und beauftragte die Übersetzer, genau das herauszufinden. Als die Übersetzer zurückkamen, sagten sie: „Nein, die Träger wollen nicht mehr Geld! Sie sagen, sie müssen jetzt warten, bis auch das Herz nachgekommen ist (mündlich überliefert).
Ziel-Erreichung im Fokus
Diese Geschichte, die sich möglicherweise im 19 Jahrhundert zugetragen hat, beschreibt genau das Dilemma unserer Gegenwart. Wir leben – auch in der Kirche – in turbulenten Umbruchzeiten. Ziel-Erreichung hat oft oberste Priorität – egal, wie es einem damit geht. Der saloppe Satz: „Macht nix, wenn es schnell geht!“ schwingt scheinbar immer mit – auch wenn keiner ihn ausdrücklich sagt.
Auf die Kirchenvorstände stürzen viele Entscheidungen ein, die nebeneinander, voneinander getrennt und doch irgendwie miteinander verwoben sind. Der Prozess ekhn2030 nimmt seinen Lauf, und wenn die KVs die Interessen der eigenen Gemeinde nicht wahrnehmen, tut es niemand. Wie auch, alle übergeordneten Instanzen haben ihre eigene Prio-Listen, die es zu bearbeiten gilt.
Schon wieder eine Vakanz
Und dann geht auch noch die Pfarrerin in den Ruhestand. Eine Vakanz-Situation entsteht. Nun hat die Kirchengemeinde Bad Ems schon viele Vakanzzeiten erlebt und irgendwie überlebt, aber jetzt ist doch vieles anders. Zum ersten Mal in der Geschichte der Gemeinde gibt es sowohl eine Nicht-Pfarrperson im Vorsitz wie auch im stellvertretenden Vorsitz. Das ist neu - für alle Beteiligten. Allerdings sind wir im Nachbarschaftsraum damit zugleich auch bei den „Fortschrittlichsten“. Wir haben die Nase vorn bei der Entwicklung, die auf alle Gemeinden – spätestens ab 2027 – zukommt. So kann man es nämlich auch sehen.
An dieser Stelle möchte ich eine Erkenntnis von Dietrich Bonhoeffer weitergeben: „Nicht nur die Angst ist ansteckend, sondern auch die Ruhe und die Freude, mit der wir dem jeweils Auferlegten begegnen.“ Es lohnt sich, sich da immer wieder drauf zu besinnen. Nun bin ich als ausgebildete Pfarrerin für die Begleitung von Übergängen – oder „Transition Specialist“, wie es neudeutsch heißt – auch besonders im Bereich Selbstdifferenzierung trainiert. Es ist einerseits mitunter anstrengend, diese Haltung aufrecht zu halten. Andererseits gilt es auch immer, andere mit hineinzunehmen in diese Haltung – die Dinge in ihrer Bedrohlichkeit zwar wahrzunehmen, aber ihnen doch eine positive Wendung oder Auslegungsmöglichkeit beizufügen und so die Hoffnung wieder ins Boot zu holen.
Hoffnung ins Boot holen
Wenn ich so zurückschaue, ist das durchaus gelungen in den vergangenen 7 ½ Jahren. Mit Ups und Downs freilich. Als ich 2018 nach Bad Ems kam, standen wir vor abgebrochenen Enden – und ich meine das wörtlich! Ich hatte zwar einiges im Gepäck an Bereitschaft, Können und vielleicht auch das eine oder andere Talent, aber woran anknüpfen? „Wir müssten endlich wieder Kindergottesdienst haben“, hieß es. Sehr gerne – hier bin ich, langjährige Kindergottesdienst-Beauftragte und Mitglied im Vorstand des Landesverbandes für Kindergottesdienst. Na ja, als die und die das gemacht haben, war das doch gut… hieß es dann. Allerdings fand ich alsbald heraus, dass das so nicht mehr angenommen wurde… Dann hieß es: Die Pfarrperson muss in erster Linie für die älteren Menschen da sein und sie besuchen. Je nun, mit meinem Dienstantritt hier in Bad Ems wurde die Reduzierung von zwei Pfarrstellen auf eine konkret umgesetzt. Wie schaffen wir es also, mit weniger Menschenpower den Menschen dennoch nahe zu sein?
Gemeinde ausloten
So begann ein Prozess, der sich zunächst mit dem Erbe der Gemeinde befasste. Unter dem Titel „Versöhnte Vergangenheit“, haben wir uns in einem Gemeinde-Forum mit den Ereignissen der vergangenen fast 100 Jahre beschäftigt. Wer war da Pfarrer*in in der Gemeinde, wer im KV, wie sah es politisch und sozial in Stadt & Land aus? Ah! Kein Wunder, dass uns das alles so schwergefallen ist, lautete ein Fazit. Ein anderes: es war doch auch viel Gutes dabei, das wir vielleicht für heute übersetzen müssen, aber mitnehmen können! Einige können sich vielleicht noch an die „Steine“ erinnern, die wir symbolisch durch den Jordan in die neue Zeit getragen haben. Andere Gemeinde-Foren folgten. Wir haben nach dem Auftrag dieser Gemeinde Jesu Christi an diesem Ort in dieser Zeit gesucht und das Thema Gemeinde-Leitung angeschaut. Sodann haben wir versucht hinzusehen: Wer sind eigentlich unsere Nachbarn? Und was können wir für sie bedeuten als Kirchengemeinde? Zunächst war mein Wirken in Bad Ems nur für ca. drei Jahre angedacht. Doch dann kam Corona, und Neudenken war angesagt.
Den Kairos beim Schopf packen
Die Corona-Zeit hat uns – genau wie fast alle Gemeinden – extrem ausgebremst. Hat uns aber auch eine riesige Experimentierfläche beschert. Theologisch gesprochen: den Kairos – die gute Gelegenheit – beim Schopfe zu packen. Seitdem gibt es den Newsletter und die Leseandachten, die online zur Verfügung gestellt werden bzw. aus einer Box an den Standorten geholt werden können. Auch die beliebten KiGo-to-go-Taschen sind ein Produkt aus dieser Zeit.
Krankheit/Besinnung/Auszeit
Und dann wurde ich krank – ein Routine-Eingriff zog Komplikationen nach sich. So galt es, gesund zu werden und zugleich Dinge neu zu denken. Nach einer Auszeit in Oslo kam der Durchstart.
Kommunikation stärken
Begegnungsmomente schaffen – Kommunikation fördern: das Kirchencafé mit den Bistrotischen im Seitenschiff erfreut sich großer Beliebtheit.
Wenn wöchentliche Gruppen nicht funktionieren, dann vielleicht punktuell einmal im Jahr? Nach dem Motto: see you again next year: Turmdetektive, Crazy Angels und Potter-Passion. Die Regenbogen-Kids kamen nicht zustande, weil es dafür aktive Werbung durch die KiTa gebraucht hätte. Aus den Treffen der Turm-Detektive und der Crazy Angels entstand die Gruppe der Konfettis, ab 3. Klasse, die sich einmal im Monat treffen. Ein Treffen für die Allerkleinsten, das KrabbelBabbel, will wieder neu beworben werden.
Als die Nachbarschaften neu aufgeteilt wurden, habe ich den Konfi-Jahrgang selbst übernommen. Das hatte ich all die Zeit vermisst, denn unmittelbar, bevor ich nach Bad Ems kam, war diese an die Nachbargemeinde vergeben worden. Es erfüllt mich mit Dankbarkeit, dass ich eine solche Gruppe begleiten durfte, sie an die Gemeinde heranzuführen!
Kirche muss bei den Menschen sein
Mein Fazit: Bei allen strategischen, verwaltungstechnischen und strukturellen Veränderungen muss es Kirche gelingen, bei den Menschen zu sein – das gilt nicht nur für die Ehrenamtlichen, sondern auch und gerade für das hauptamtliche Verkündigungsteam.
Und ja, wir können endlich sagen: Jetzt ist auch das Herz nachgekommen. Die Entdeckungsreise kann weitergehen.
Wie wir das geschafft haben, und wie Sie es weiterhin schaffen können, fragen Sie?
Da möchte ich mit einem Text aus „Du, Gott, Freundin der Menschen“ (Heidi Rosenstock und Hanne Köhler) antworten – ein erkennbares Jesus-Zitat:
Wo zwei oder drei
vor ihrer Tür wischen und den Hinterhof aufräumen,
den Tisch decken und Blumen draufstellen,
ihr Geld zählen und es zusammenlegen,
die Tränen trocknen und ein Fest feiern,
miteinander streiten und sich versöhnen,
miteinander sprechen und sich verstehen,
neu beginnen und nicht zurückschauen,
ihr Haus öffnen und ihr Herz,
versammelt sind in meinem Namen,
da bin ich mitten unter ihnen.
Und von hier an: Geht nun hin in Frieden und tragt Gottes Liebe und sein herzliches Willkommen in die Welt hinaus. Gott segne Sie!
Lieve Van den Ameele