Blumenwiese statt Rasen
Zunächst bei Königs- und anderen Schlössern, später bei Verwaltungen und sonstigen repräsentativen Gebäuden und schließlich bei Eigenheimen allgemein. Zunächst nur in Europa. Ab 1950 etwa schmückten solche Rasenstücke auch Eigenheim-Vorstadtsiedlungen in den USA.
Eine beliebte Wochenendbeschäftigung wurde es, den Rasen ständig auf Vordermann zu halten. Und was für eine Pflege so ein Rasenstück braucht! Mit Mähen und Trimmen ist es noch längst nicht getan. Da muss gedüngt, gewässert und belüftet werden. Von Chemiezusätzen mal ganz zu schweigen.
Als wir uns vor vierzig Jahren eine mögliche erste Pfarrstelle für meinen Mann anschauten und auch das Pfarrhaus besichtigen konnten, kam uns eine Kirchenvorsteherin entgegen mit Gartenhandschuhen. Statt „Guten Tag“ sagte sie lediglich: „Der Rasen ist unbedingt von Löwenzahn freizuhalten!“ Oh – wir dachten, es geht um die Pfarrstelle…
Mittlerweile bekommen wir die Folgen des Klimawandels zu spüren – mit dem Ergebnis, dass viele Rasenflächen eher braun als frischgrün daherkommen. Je nach Trockenheitslage verbieten die Städte schon mal das Bewässern. Nach so einem Sommer ist der Rasen nicht mehr schön und muss womöglich neu eingesät werden - mit dem gleichen Ergebnis im nächsten Jahr.
Umweltforscher wissen längst, dass eine Wiese wesentlich nachhaltiger ist. Süßgras ist wesentlich robuster als Sauergras und braucht kaum Pflege. Im Frühling ist es grün – im Sommer bunt. Mag sein, dass die eine oder andere Blume an anderer Stelle auftaucht, als sie eingesät wurde. Mag sein, dass von einer Sorte Gras oder Blumen plötzlich viel mehr als erwartet da ist. Aber vor allem macht die Wiese wesentlich weniger Arbeit, und genießen kann man sie allemal!
Wie wäre es wohl, wenn wir die Gemeinde mehr als bunte, wunderschön-wilde Wiese denn als abgezirkelte ordentliche Rasenfläche betrachten würden? Statt immer mehr Arbeit ins ordentliche Aussehen zu stecken, könnte man sich zurücklehnen und bewundern, was die Natur so alles aufbietet. Die gesparte Zeit wäre frei für ein gutes Miteinander, für eine offene Gesprächskultur und für den Dank an den Schöpfer, dass er alles und alle so schön geschaffen hat.
Lieve Van den Ameele