Fabel
Was könnte ich denn mal tun?
Es war einmal ein Eisbär, der wollte gerne mal was unternehmen. Doch er wusste nicht, was. Da sagte sein Nachbar: „Schwimmen, das ist fein – geh doch mal schwimmen!“ „Na gut“, sagte der Eisbär, „wenn du meinst, dass du meinen musst! Dann geh ich eben schwimmen.“ Und platsch, war er im Wasser. „Ahhh!“, war das schön kalt! „Okay!“, dachte der Eisbär. „Dann schwimme ich halt. Und er schwamm und schwamm und schwamm...
Doch was war das? Da kam der Nachbar und sprang ebenfalls ins Wasser. Der Eisbär legte sich auf den Rücken und ließ sich treiben. Doch rummmms, rempelte der Nachbar ihn an. „'Tschuldige, Eisbär!“, sagte der Nachbar, „ich schwimme halt.“ „Ja ja!“, sagte der Eisbär. „Wenn du meinst, dass du meinen musst...!“
Da sah der Eisbär eine Robbe auf einer Eisscholle. „Was machst du denn da?“, fragte der Eisbär. „Nichts!“, sagte die Robbe, „einfach nichts – etwas Schöneres gibt es nicht!“ „Na gut“, wenn du meinst, dass du unbedingt meinen musst! Dann mache ich eben … nichts!“ Und er legte sich auf eine Eisscholle und fing an mit dem Nichtstun. Erst legte er sich auf den Rücken, dann auf den Bauch – ach, war das schön.
Doch „krackkrackkrack“, was war das? „Nanu“, sagte der Eisbär, „da bricht doch tatsächlich mein Nichtstun entzwei... Und „platsch“, landete er wieder im Wasser, denn die Eisscholle war jetzt zu klein für ihn.
Etwas weiter weg pfiff ein Lachs vor sich hin. „Was machst du denn da?“, fragte der Eisbär. „Ich träume!“, sagte der Lachs. „Ist Träumen gut?“, fragte der Eisbär. „Schon!“, sagte der Lachs, „etwas Schöneres gibt es nicht.“ „Und wovon träumst du?“, fragte der Eisbär. „Das sage ich dir nicht!“, sagte der Lachs. „Du musst schon selbst deine Träume erfinden!“ „Oha!, sagte der Eisbär überrascht. Er dachte etwas nach und sagte dann vor sich hin: „Na gut, wenn du meinst, dass du unbedingt meinen musst. Dann träume ich eben vor mich hin. Aber nur, dass du es gleich weißt, dir erzähle ich bestimmt nicht, was ich träume.“ Und der Eisbär schwamm an Land und fing an zu träumen. Und träumte und träumte und träumte...
Doch „knatter, knatter, knatter“ - näherte sich ein Boot und riss ihn ganz aus seinen Träumen heraus. Da sagte der Eisbär verärgert zum Bootskapitän: „Hallo! Was machst du denn da! So kann ich nicht träumen!“ „'Tschuldigung!“, sagte der Bootskapitän, „ich fahre.“ „Aha!“, sagte der Eisbär. „Und wozu ist jetzt das wieder gut, das Fahren?“ „Ach“, sagte der Kapitän, „ich fahre halt – etwas Schöneres gibt es nicht!“ „So! So!“, sagte der Eisbär, „und was, wenn das Fahren gar nichts für mich ist?“ „Na ja!“, sagte der Kapitän, „du kannst natürlich auch laufen – dann kommst du auch an.“ „Na gut!“, sagte der Eisbär, „wenn du meinst, dass du unbedingt meinen musst. Dann laufe ich halt!“ Und sogleich lief er los. Und lief und lief und lief...
Dann wurde er müde und legte sich hin und schlief die ganze Nacht. Als er am Morgen aufwachte, kitzelte die Sonne ihn an der Nase und im Fell. Da sprang er auf und lief weiter, und lief und lief und lief...
Abends kam er bei einer Hütte im Wald an. Er setzte sich hin und schlief sogleich ein. Am anderen Morgen brachte die Frau, die in der Hütte wohnte, Wasser und Hirsebrei. „Hab Dank, Nachbarin!“ sagte der Eisbär. Als er das Wasser getrunken und den Hirsebrei gegessen hatte, fragte er: „Was machst du denn da?“ „Ich wohne“, sagte die Frau. „Warum das denn?“, fragte der Eisbär. „Einfach so!“, sagte die Frau. „Etwas Schöneres gibt es nicht...!“
„Na gut!“, sagte der Eisbär, „wenn du meinst, dass du unbedingt meinen musst, dann wohne ich eben!“ Und sogleich ging er in die Hütte und wohnte und wohnte und wohnte...
Eines Tages, während er wohnte, kam ein Braunbär vorbei und klopfte an seine Tür. „Was machst du da?“, fragte der Eisbär. „Na! Ich klopfe!“, sagte der Braunbär, „etwas Schöneres gibt es nicht!“ „Jetzt reicht es mir aber!“, brüllte der Eisbär wütend. Er hob die Tatze und schlug sie gegen die Wand der Hütte. Da fiel die Hütte um. „Ich habe es satt,“ sagte der Eisbär, „ich gehe jetzt!“ Der Braunbär und die Frau schauten verdutzt drein. Doch ohne sich umzudrehen, lief der Eisbär wieder los, und lief und lief und lief...
Da traf der Eisbär den Kapitän. Der grüßte ihn freundlich und fragte: „Na, genug gelaufen?“ „Wieso?“, fragte der Eisbär, „gibt es das denn: genug?“ „Kommt drauf an“, sagte der Kapitän. Wenn ich genug Passagiere habe, dann fahre ich los – und wenn nicht, dann nicht.“ „Ach so!“, sagte der Eisbär. „Na, wenn das so ist, dann träume ich doch lieber wieder.“ Und träumte und träumte und träumte...
Da hörte er den Lachs wieder pfeifen. „Nein!“, sagte der Eisbär zum Lachs, „Bleib du mir bloß weg!“
Da kam die Eisscholle mit der Robbe vorbei. „Na, genug geträumt?“, fragte die Robbe. „Wieso?“ fragte der Eisbär, „gibt es das denn: genug?“ „Kommt drauf an“, sagte die Robbe, „Wenn ich genug habe, lasse ich mich wieder von der Eisscholle ins Wasser gleiten und schwimme eine Weile. Und wenn nicht, dann nicht.“
„Ach so!“ sagte der Eisbär, „na, wenn das so ist, dann schwimme ich mal wieder weiter.“ Und schwamm und schwamm und schwamm...
Da glitt der Nachbar ins Wasser. „Na, genug geschwommen?“, fragte der Nachbar. „Wieso?“, fragte der Eisbär, „gibt es das denn: genug?“ „Kommt drauf an“, sagte der Nachbar. „Wenn ich genug geschwommen bin, dann hör ich auf, und wenn nicht, dann nicht.“
„Wow!“ sagte der Eisbär. „Bist du aber frei!“ „Du stellst die falschen Fragen!“, sagte der Nachbar. „Wieso das denn?“, fragte der Eisbär. „Na ja“, sagte der Nachbar, „was ICH mache, ist doch für DICH ganz unwichtig.“ „Unwichtig?“, fragte der Eisbär ganz verdutzt. „Ja“, sagte der Nachbar, „ganz unwichtig“. „Das verstehe ich nicht“, sagte der Eisbär. „Ist doch ganz einfach!“, sagte der Nachbar. „Schau! Viel interessanter ist doch, was DU machen willst!“
Da hielt der Eisbär inne beim Schwimmen und fragte: „Darf man das denn?“ „Freilich!“, sagte der Nachbar „Du darfst alles, was du willst.“ Da sagte der Eisbär: „Na, wenn das so ist, dann will ich endlich mal mit dem Eisberg tanzen...“
Lieve Van den Ameele