Geistliches Wort
Ein Friede, der höher ist als menschliche Vernunft
"Der Friede Gottes, der höher ist als all unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen“ (Philipper 4,7). In diesen Tagen kommt mir dieser Friedensgruß, den wir traditionell am Ende der Predigt hören, öfters in den Sinn.
Höher ist als all unsere menschliche Vernunft: Das Kriegsgeschehen im Heiligen Land zeigt einmal mehr, wie weit wir mit unserer Vernunft mitunter kommen. Das gilt für jeden Krieg, aber hier ganz besonders. Ja, wenn es nach rein menschlicher Vernunft geht, dann erscheint es angemessen, auf einen barbarischen Übergriff wie am 7. Oktober zu antworten: Zurückschlagen mit so viel Härte, dass der Gegner nicht mehr aufsteht.
Nur: Wenn Leben gelingen soll, dann kann der Tod der Anderen nicht die Lösung sein!
Machtlos schauen wir zu, wie Schlag auf Schlag, Wut auf Wut, Rachegedanke auf Rachegedanke trifft. Dabei ist die alttestamentliche Aussage „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ (2. Mose 21,24a) – anders als oftmals verstanden – nicht etwa der Aufruf zur Vergeltung für zugefügtes Leid, sondern im Gegenteil als Gebot der Redlichkeit gedacht mit dem Ziel, die Verhältnismäßigkeit zu wahren. Da scheint jemand genau gewusst zu haben, dass Gewalt im Zweifelsfall nur weitere und noch größere Gewalt nach sich zieht.
Und, ob wir es wollen oder nicht: Wir sind beteiligt! Christen, Juden, Muslime - als Kinder des Einen Gottes sind wir zum friedlichen Miteinander gehalten! Einfach ist das sicherlich nicht, und dennoch sind wir dazu aufgefordert. Und ja, mit unserer Vernunft kommen wir da nicht weit, weshalb wir den Frieden Gottes brauchen, der unsere Herzen und Sinne vor Schlimmerem bewahrt.
Ganz offensichtlich haben deutsche Mitmenschen bis heute den Holocaust von damals noch nicht überwunden. Christen in Deutschland haben in der Tat eine besondere historisch-moralische Verantwortung den Juden gegenüber. Angesichts der Gefahr einer Spaltung unserer eigenen Gesellschaft ist es allerdings auch an der Zeit, dass wir den Holocaust in unsere Herzen und Sinne einbauen.
Unsere Geschwister der Evangelischen Synode in Syrien und Libanon haben es in diesen Tagen treffend formuliert: „Unser tiefer Glaube an den angeborenen Wert eines jeden Menschen, der nach dem Bild Gottes geschaffen wurde und ein Leben in Würde und Sicherheit verdient, treibt uns an, das anhaltende und massive Leiden der Zivilbevölkerung anzuprangern.“ Und weiter: „Dieses Leid umfasst den tragischen Verlust von Menschenleben, die Zwangsumsiedlung und die mutwillige Zerstörung von Häusern und Krankenhäusern, die unschuldige, schuldlose Menschen treffen.“
So lassen Sie uns dem Gebet unserer Geschwister im Glauben aus Syrien und Libanon anschließen: „Heute beten wir für die Welt, dass sie dem Ruf des Herrn Jesus folgt, ‚Friedensstifter‘ zu werden, immer in dem Bewusstsein, dass Gerechtigkeit der Eckstein für dauerhaften Frieden ist.“
Der Friede Gottes, der Höher ist als unsere Vernunft, erhalte unseren Verstand wach und unsere Hoffnung groß, und stärke unsere Liebe.
Ihre Pfarrerin Lieve Van den Ameele